4. Dolomiten 1915

Dolomiten 1915


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Dolomiten 1915



Die Öffnung einer Front in den Bergen, direkt vor der Tür der Dolomitenbevölkerung, brach mehr oder minder unerwartet herein. Am 24. Mai 1915 verwandelte sich die seit vielen Jahren friedliche Grenze zum Königreich Italien in eine drohende Gefahr. Der Großteil der wehrdiensttauglichen Männer war bereits in Galicien an der Front.
Bei der Kriegserklärung wurden 30.000 spärlich bewaffnete Standschützen zur Verteidigung ihrer Heimat an die Grenze geschickt.
Das ist der Beginn einer endlosen Tragödie. Fiera di Primiero, Cortina und Livinallongo wurden aus strategischen Gründen evakuiert und von den Italienern besetzt. Hunderte Ladiner werden auf italienisches Gebiet verlagert, gezwungen, Häuser und Felder zu verlassen.
Nach und nach rücken im Fassa- und Fleimstal die Truppen des ordentlichen k.u.k. Heers und das deutsche Alpenkorps zur Unterstützung der Freiwilligen an. Der Druck seitens der Italiener ist nicht sofort spürbar: die Frontlinie wird organisiert und gehalten.
Das Leben der Zivilisten wird vollkommen aus der Bahn geworfen.
Es mangelt an Nahrungsmitteln, die Bestellung der Felder ohne die tatkräftige Unterstützung der Männer wird zum Problem. Die Armeen, die zum Großteil deutschsprachigen Offizieren unterstellt waren, begegnet einer Bevölkerung, deren Sprache dem Italienischen näher ist als dem Deutschen, mit Misstrauen.
Es gibt jedoch Ausnahmen. In Moena trägt der jüdische Wiener Oberleutnant Richard Löwy die Jungen bei den Standschützen ein und bewahrt sie somit vor der Einberufung an die Ostfront. Die Frauen des Tals schließt er zu Gruppen vergüteter Arbeiterinnen zusammen, die somit einen wirtschaftlichen Beitrag zum Wohlergehen der Gemeinde leisten. Er wird Ehrenbürger von Moena.

Schlachten im Hochgebirge


Die Kriegserklärung des Königreichs Italien an das Kaiserreich Österreich-Ungarn am 24. Mai 1915 brachte die vorderste Front direkt in das Fassa- und Fleimstal.
Für die Führung des italienischen Heeres hatte die Dolomitenfront stets eine eher marginale Bedeutung, die ganze Offensivkraft konzentrierte sich an der Front am Isonzo, um einen Durchbruch in dieser Richtung zu schaffen,
bis nach Ljubljana vordringen und sich dort mit dem serbischen und russischen Heer zusammenschließen zu können, um schließlich die Donaumonarchie zu entzweien. Folglich wurden an der rund neunzig Kilometer langen Isonzofront 15 Divisionen stationiert,
auf den fünfhundertsechzig Kilometern vom Stilfser Joch bis nach Karnien hingegen lediglich 11 Divisionen.
In den ersten Kriegstagen war die von den Österreichern verteidigte Dolomitenfront praktisch unbesetzt, sodass die italienischen Kommandanten die österreichische Verteidigung sofort hätten angreifen sollen. Sobald die Grenze überschritten war, warteten sie jedoch über einen Monat, bevor sie die ersten Offensiven starteten und vergaben somit eine große Gelegenheit.
Die österreichische Strategie sah einen Rückzug aus Fiera di Primiero vor, um sich am Passo Rolle und der Lagorai Kette zu verschanzen; nach diesem Prinzip verließen sie auch den Passo San Pellegrino und setzten auf die Errichtung einer Verteidigungslinie am Passo Selle und auf den Gipfeln des Costabella.
Der erste größere italienische Angriff erfolgte am 18. Juni 1915 gegen die österreichischen Stellungen am Passo Selle im San Pellegrino Tal; die Bersaglieri des 3. Regiments waren dem Sieg wirklich nah, aber letztendlich war der Angriff nicht erfolgreich.





Zur selben Zeit besetzten die Alpini die Linie von Passo delle Cirelle, Cime Cadine, Cima Uomo, Forcella Ciadin. Im Jahre 1916 war die stabile Besetzung der Marmolata groß umkämpft. Im Juli 1916 griff der Nucleo Ferrari den Passo San Pellegrino am Cauriòl auf der ganzen Linie an mit dem ehrgeizigen Ziel, das Fleimstal einzunehmen.
Am 21. Juli wurden Passo Colbricon und Cima Stradon erobert. Italien musste für die Eroberung der Beobachtungsstation an der Cima Bocche am 3. November schwere Verluste hinnehmen, und bereits am 6. desselben Monats ging sie wieder verloren.
Am 27. August 1916 nahm das Bataillon der Alpini Feltre beim Abklingen der Offensive am Lagorai den Cauriòl Gipfel ein, der trotz der laufenden österreichischen Gegenangriffe in italienischer Hand blieb.
Die Eroberung des Cauriòl war zwar ein Erfolg, an sich aber viel zu wenig, um das Tor zum Fleimstal zu öffnen. Im Herbst 1916 gelang es den Italienern, zwei wichtige Teile des Cardinal und der Bisa Alta in Besitz zu nehmen.
Der Westgipfel des Colbricon wurde zum heißesten Punkt der Front im Frühjahr 1917. Die Italiener versuchten die Eroberung und zündeten dabei drei Minen, was jedoch keinen nennenswerten Erfolg brachte.
Im Oktober 1917 durchbrachen die Deutschen und Österreicher die italienische Front am Isonzo und drangen in die venetische Ebene vor; daraufhin waren die Italiener gezwungen, die Dolomitenfront zu verlassen, um nicht eingekesselt zu werden.
So endete der Kampf um diese Gipfel.


Die Karte zeigt den Sektor “Rayon 4”, der den Einflussbereich der 90. Österreich-ungarischen Infanterie-Division sowie der 9. und 18. Armeekorps der zahlenmäßig unterlegenen Italienischen Armee im Juni 1916 umfasst.
Rote Linie: Italienische Armee:
Blaue Linie: Kaiserlich-königliche Österreich-Ungarische Armee.


Marmolata - 3343 m


Um den Zugang zu den Stellungen einfacher und weniger gefährlich zu gestalten, aber auch zur Überquerung der Gletscher, wurden zahlreiche Brücken und Stege über die vielen Spalten und Gletschertürme errichtet, die vom Gletschermittelpunkt ausgingen. Häufig handelte es sich um Brücken, die zum Überspringen der Gletschertürme dienten, die sich bei den Tunnelgrabungen unter dem Gletscher auftaten, andere Male waren sie unter freiem Himmel.


Der Ausgang des U-Stollens unter der U-Stellung am Sasso delle Undici.
Durch diesen in das Eis gegrabenen Stollen gelangte man zum österreichischen Vorposten in der Mitte des Gletschers. Ab Juli 1916 begannen die Grabungen im Gletscher für die unsichtbare Versorgung der vorgelagerten Stellungen. Unter der Leitung von Oberleutnant und Ing. Leo Handl begann man im Frühjahr 1917 mit dem Bau einer wahrhaften „Eisstadt“ mit 8 Kilometern Stollen und Schutzbauten für über 300 Soldaten. Geplant waren Baracken mit Küchen, Lagern, Sanitätsräumen, Telefon- und Stromzentralen zur Beleuchtung der Stollen und der höher gelegenen Stellungen. Der Zugang erfolgte über einen Gletschertunnel auf 1.400 m Höhe, der mit dem Versorgungspunkt am Gran Poz verbunden war.



Holzschild von Oberleutnant Leo Handl, dem Planer der Eisstadt an der Marmolata sowie eine Blätter aus seinen Plänen.

Aus dem Gletscher stammendes Lawinenseil und Bodensack aus Jute.

Italienischer Schuhüberzug, der von den Wachposten gegen Erfrierungen verwendet wurde.

Hergestellt aus Baumwollstoff, in der Regel mit Ziegenfellfutter und Holzsohle mit rutschfesten Spikes.

Diensthandbuch für die österreichischen Gebirgsjägertruppen.

Österreichische Gletscherbrille.

Vivat - Propaganda-Seidenbinde zur Verteidigung der Alpen.


Barackensiedlung am Passo Fedaia, in gedeckter Stellung in etwa dort, wo sich heute das Stauseebecken ausdehnt.
Das Foto zeigt ein spontanes Abbild des Alltags. Es handelt sich offensichtlich um einen kampffreien Tag und auch das Klima scheint besonders heiter.


Luftansicht eines österreichischen Aufklärungsbild vom 25. April 1917 des Marmolata Gipfels mit den rot gekennzeichneten italienischen Stellungen zur Verteidigung des Vallon d’Antermoia.


Frühlingshaftes Bilde der D-Stellung am Sasso delle Dodici. Am Gipfel, der dem Himmel entgegenragt, verlief die vorderste österreichische Linie oberhalb der “V”-Scharte (Forcella a Vu). An der linken Wand erkennt man den letzten Pflock der ehemaligen Seilbahn, die abgebaut wird. In der Regel befanden sich in der unteren Etage der Baracken die Unterkünfte der Truppen, in der oberen Etage, in der Sonne und seltener eingeschneit, die Unterkünfte der Offiziere. So weit möglich waren die Baracken gut gebaut, mit Fensterscheiben und Doppeltüren, um die Kälte abzuschirmen. Man erkennt die Strom- und Telefonkabel.



Siegfrid Kolisch war Kommandant der 21. Batterie in Penia, und hier sind seine Erinnerungsstücke ausgestellt (die Originaluniform und das Fernglas, im Abschnitt der Uniformen und Teil der Bildergalerie im Booklet „Mann gegen Mann“).


Ein Modell des 30,5 cm Skoda-Mörsers, Mod. 1911 und die von Kolisch selbst geschossenen Bilder, die den Transport und den Aufbau von Artilleriegeschossen zeigen, die auf die italienischen Linien an der Marmolata in etwa 9,6 km Entfernung 300-kg-Geschosse abfeuerten.
Daneben eine Originalskizze des Cauriòl Gipfels mit einem Kanonenzielsystem und Winkelmessgeräten.




Ein Splitter eines in Penia aufgestellten Skoda-Mörsers, der am Costabella Gipfel von Livio Defrancesco, dem Vorsitzenden des Historischen Vereins “Sul fronte dei ricordi” (An der Front der Erinnerungen), gefunden wurde.


Das Plakat für die Metallsammlung zu Kriegszwecken, welches das Bild desselben Geschützes verwendet.




Verlorene Dunkelheit, stille Helligkeit
von Erde und Himmel, auf die Probe gestellt,
Abgründe, die sich mit Höhen abwechseln,
die Schwindel und Entzücken hervorrufen:
auf diesen rauen Felsspitzen
zeigen die Propheten des Alten Testaments
ihre schrecklichen Fratzen
und Gesten der Entrüstung.
Ausgebreitet liegt das Buch des ewigen Eises,
eine nur von den Winden gelesene weiße Seite
die im Vorbeiziehen den Rauch der Öllampen aufwirbeln;
und die Sybille spricht mit verbundenen Augen
im Widerhall der Höhlen
für jede Front eine Strafe.


Carlo Delcroix,
Val Cordevole - Poesie. Cappelli ed., 1968.
Der Verfasser, ein Autor des an der Marmolata stationierten 3. Bersaglieri-Regiments, wurde 1917 schwer verletzt.

Costabella - 2762 m


In einigen Frontabschnitten waren die Stellungen sehr weit voneinander entfernt und für eine zuverlässige Kartographie der Gegend waren stundenlange Messungen mit Präzisionsmessgeräten erforderlich. Von der Cima Campagnaccia auf dem Costabella beobachtet dieser Soldat die italienischen Bewegungen im San Pellegrino Tal, nur wenige Kilometer von Moena entfernt.




Die Versorgung der besonders hoch gelegenen Stellungen war im Sommer von höchster Priorität, um dann im Winter noch Vorräte zu haben, wenn die Verbindungen ins Tal wegen der enormen Schneemassen abrissen. Am Costabella bereiten zwei Standschützen des Bataillons Dornbirn Verstärkungsbauten und Unterkünfte vor.
Im Hintergrund die Sassolungo Gruppe und rechts der Crepa Neigra.



Die österreichische Stellung „Detz“ am Costabella Gipfel, wo einige Soldaten Arbeiten ausführen, um das Leben im Hochgebirge etwas angenehmer zu gestalten.
Rechts erkennt man die Mauer, die zur Verteidigung gegen das italienische Feuer errichtet wurde, links hingegen sieht man die Ankunft der Seilbahn, die vom San Nicolò Tal heraufführte. Dort befand sich der Haupt-Umschlagplatz der Versorgungsgüter für die Costabella Front.


Italienische Baracke auf der Sella di Costabella, an den Hängen der Cima Uomo auf 3010 m Höhe im San Pellegrino Tal.
Im Winter war es wegen der enormen Schneemassen sehr schwierig, diese kleinen Beobachtungsposten zu erreichen und zu versorgen: die allgegenwärtige Lawinengefahr tat ein Übriges.


Cima Bocche - 2745 m


Die österreichische Stellung „Laudon“ am Hang des Bocche, geschützt durch dicht an dicht aufgestellte Maschendrahtzäune mit Blick Richtung Pale di San Martino. Die Bocche Front war Schauplatz wiederholter Angriffe durch die Brigata Tevere im Sommer 1916. In sechs Monaten verlor die Brigade während der Operationen zur Eroberung des Felsvorsprungs, auf dem sich der Beobachtungsposten befand (am 3. November eingenommen und am 6 November bereits wieder verloren), unter Toten, Verletzten und Vermissten über 2.500 Männer.




Das Panorama der herrlichen Lagorai Kette mit linkerhand dem Colbricon, von einer österreichischen Stellung aus gesehen. Durch den Maschendrahtzaun unmittelbar vor den vordersten Linien hatte man eine für den
Angreifer praktisch unüberwindbare Barriere.
Granaten, von mutigen Patrouillen positionierte Gelatinerohre, konnten nichts dagegen ausrichten: der Draht riss, verbog sich aber auch gleichzeitig, verknotete sich, verwickeltete sich und verwandelte sich auf dem Boden zu einer erneuten Barriere.


Im Travignolotal und oberhalb von Moena im Ortsteil Someda hielten noch einige befestige Bauten stand, die zu einem Verteidigungsnetzwerk von Ende des 19. Jahrhunderts zählten.
Das im Juli 1890 in Betrieb genommene Werk Dossaccio wurde im Sommer 1915 entwaffnet und die Batterien in rückgelagerte Positionen aus der Schusslinie der italienischen Artillerie verlegt. Die Kanonenöffnungen wurden durch schwarz gestrichene Baumstämme ersetzt, die deren Präsenz optisch vortäuschten.
Dennoch gelang es, am 18. Juni 1915 italienische Infanteriekolonnen auf dem Weg Richtung Campo Juribrutto zu bombardieren. Auf dem Bild wurden die Geschütze bereits ersetzt, ebenso wie die Metallkuppen durch Beton.



Während der seltenen Ruhephasen hatten die ins Tal abgestiegenen und sich von den Strapazen erholten Soldaten mitunter das Bedürfnis, die Eindrücke ihres Alltags auf Papier festzuhalten.
Hier ein Beispiel einer Bleistiftzeichnung eines einfachen Standschützen aus Moena, Giovanni Volcan, der am 3. Juni 1916 seine Baracke an den Hängen des Gronton an der kargen Front von Cima Bocche abbildete.

Colbricon - 2602 m
Buse dell’oro - 2326 m


Winter 1916. Vom österreichischen Schützengraben am Colbricon Piccolo sieht man den Westgipfel, 2608 m. Links vom Gipfel die drei Zacken. Der erste und zweite Zacken von links waren von den italienischen Vorposten besetzt, nachdem der Gipfel am 3. November 1916 von den österreichischen Truppen zurückerobert wurde. Genau begannen die Grabungen für den Minenstollen, den die Italiener unter dem dritten Zacken am 12. April 1917 in die Luft sprengten. Dabei wurden die achtzehn Männer der Besatzung und ein Offizier getötet, aber die Stellung konnte nicht erobert werden.
Links erkennt man die Seite des 2604 m hohen Ostgipfels des Colbricon, der von den Italienern des LX. Bataillons des 13. Bersaglieri-Regiments am 21. Juli 1916 besetzt wurde. Dieses letzte Artillerie-Regiment sowie das 23. und 49. Infanterie-Regiment bildeten den Nucleo Ferrari.




Leben und Tod, vereint durch die Präsenz einiger Baracken, die als Militärunterkünfte dienten, und direkt daneben der österreichischen Friedhof an den Buse dell´Oro.
Hier lagen die Gefallenen des III. Kaiserschützen-Regiments, das in Predazzo eine Kaserne hatte, sowie des 84., 49. und 12. Infanterie-Regiments. Die Schlachten um die Eroberung der Buse dell’Oro bestanden aus enormen Offensivbemühungen der Italiener, die jedoch erfolglos blieben. So begannen im Juli 1917 die Minenarbeiten zur Sprengung der österreichischen Stellungen. Die Explosion fand am 10. Oktober 1917 statt, aber sie blieb praktisch ohne Wirkung auf die österreichischen Truppen, die mit einem heftigen Gewehr- und Maschinengewehrfeuer antworteten.



Ein hoch interessantes Bild der vordersten Front auf 2187 m Höhe in Richtung der bewaldeten Kuppel.
In diesem Bereich lagen die österreichischen und italienischen Stellungen nicht mehr als 15 Meter voneinander entfernt.
Trotz der Nähe läuft das Leben ohne offensichtliche Probleme ab: es wird geraucht, man ruht sich aus, aber man beobachtet auch durch enge Schlitze.
Eine Gruppe Offiziere spricht am Telefon - und vorne rechts - vor dem Schutze einer zerbrechlichen Mauer, kontrolliert jemand seine Wäsche, in der sich wohl lästige Flöhe breitgemacht haben.


Der Vergleich mit der aktuellen Fotografie ist enorm.


Cauriòl - 2494 m


Der Gipfel des Monte Cauriòl, der sich auf dem Foto monumental erhebt, wird am 27. August 1916 um 19.50 Uhr von zwei Zügen der 65. Und 66. Kompanie des Feltre Bataillons und des 7. Alpini-Regiments erobert. Nach der Eroberung begannen die Italiener mit den Vorbereitungen für die Einnahme des Kamms, der den Berg vom Cardinal trennt. Am Morgen des 15. September 1916 gelang es Truppen des Monte Rosa mit der Deckung einer Kanone der 5. Artillerie-Batterie auf Posten am Cauriòl die Eroberung des Kamms zwischen Cauriòl und Cardinal, der von den Kaiserschützen des III. Regiments verteidigt worden war. Von Caoria, im direkten Rückzugsgebiet der Italiener, hatte man einen hervorragenden Blick auf den Berggipfel: die Österreicher konnten also die Zugangswege der Italiener überwachen, aber nach dem 27. August gelang den Italienern dasselbe mit den österreichischen Versorgungswegen im Fleimstal, an der Stelle wo die Schmalspurbahn, die 1918 nach Predazzo führen sollte, auf das linke Ufer des Avisio wechselte. Am Morgen des 3. September nutzen die Österreicher den kürzlich erfolgten Wechsel zwischen Bataillon Feltre und Val Brenta und griffen den Gipfel und Kamm südwestlich des Cauriòl an. 49 Soldaten kamen ums Leben, es gab 203 Verletzte. So wurde eine Rückeroberung des Cauriòl verhindert.






„... Nichts dringt durch, nichts, das auch nur annähernd das entsetzliche Opfer erahnen ließe, dass diese Männer erbringen, wenn sie in den Angriff
eines militärischen Ziels geschickt werden, das eher einer Illusion gleichkommt. Unwegsame Schneisen, beinahe vertikale Felswände, völlig ungeschützt und oben, auf dem Gipfel, in dominierender Position, die zwischen den Steinen sitzenden Österreicher in improvisierten Deckungen, die dennoch aufgrund des Geländes als uneinnehmbar gelten.
Tausend Meter Höhenunterschied laufend zurückgelegt, das Herz bis zum Hals schlagend, mit nur einem Bild im Blick, den spitzen, dunklen Zacken, der sich wie ein blutrünstiger Moloch erhebt, gegen den ein einfaches Menschenleben nichts auszurichten vermag. Aber das unermessliche, unerschöpfliche Pflichtbewusstsein, das den italienischen Soldaten seit jeher in ähnlichen Situationen begleitet, lässt den Mut der
Männer des Feltre weit über den Gipfel des Monte Cauriòl aufsteigen ...”


Oberleutnant Giuseppe Caimi,
Bataillon Feltre, am 14. Dezember 1917 am Monte Valderoa durch Schüsse getötet

Der Angriff


Nach den schrecklichen Angriffen und Gegenangriffen an der Galicien-Front kehrten die wenigen Überlebenden mit einer beachtlichen Erfahrung zurück.
Gleiches galt selbstverständlich auch für die Befehlshaber, die gelernt hatten das Manöver und den Einsatz sich abwechselnder Massen besser zu nutzen,
Das an der Ostfront verbrachte Jahr ließ zugleich alte und neue Ideen reifen, die zur Verbesserung der Lebensbedingungen umgesetzt wurden.
In kurzer Zeit wurden neue Uniformen in bodenähnlicheren Farben, weiße Tarnanzüge für den Winter, Schutzkleidung sowie Sozialausrüstung entwickelt. Die Soldaten kamen trotzdem ums Leben, aber man hatte, wenn auch spät, die Bedeutung des unersetzlichen Faktors Mensch verstanden.






„Wurden die Männer zuvor von den Kanonen erschlagen, werden nun vom Maschinengewehr zerfetzt sterben. Zu Tausenden und Zehntausenden. Wer werden zwei- oder dreihundert Meter felsigen Gebiets besetzen. Und dann beginnt die Schlacht von Neuem.
Und dieses dumme Tier, der Mensch, gegeißelt, schreit vor Schmerz und geht dem Tod entgegen.“


Attilio Frescura,
Diario di un imboscato, Cappelli, Bologna, 1930



„Das Leben im Schützengraben ist sicherlich hart, aber im Vergleich zum Angriff eine Kleinigkeit.
Die Tragödie des Kriegs ist der Angriff.
Der Tod ist ein normales Ereignis und es wird unerschrocken gestorben.
Aber das Bewusstsein des Todes, die Gewissheit des unausweichlichen Todes machen die Stunden davor so tragisch.“


E. Lussu,
Un anno sull’Altipiano, Einaudi, 1945

Die Verletzten


Die Ersatzleute, die die Stelle ihrer aus dem Kampf genommenen Kameraden einnehmen sollten, wurden häufig mit den von der vordersten Linien kommenden Verletzten zusammen zurück gelassen.
Dies war der Moral sicherlich nicht hilfreich, denn sie sahen unmittelbar vor sich , was sie wohl erwartete, sobald sie ihren Platz in der Schlacht eingenommen hatten.
Die Behandlung der Verletzten war höchst problematisch: es wurden schiffbare Transportmittel, ausgestattete Züge, chirurgische Ambulanzen, Seilbahnen, zerlegbaren Tragen für Schützengräben und Spezialtragen auf Kufen für die Gebirgszonen bereitgestellt.
Es wurden sogenannte Korrespondenzposten eingerichtet, wo das Personal so geschult wurde, dass es jede Spalte des ihm zugeteilten Gebiets kannte, um die Notlage des Verletzten auf ein Minimum zu reduzieren.
Auch Ambulanzen und Tragen wurden mechanisch immer weiter entwickelt, um zumindest den Komfort der bereits schwer Leidenden zu verbessern.
Von den wenigen Sanitätssektionen für die Einsatztruppen hatte man 1918 100.000 Betten in vorderster Linie, und auch der Abtransport der Verletzten aus dem Kriegsgebiet ins Land stieg von 81.000 im Jahre 1915 auf 334.000 im Jahre 1918 an.





„Wenn ein Soldat von der Kanone betäubt ist, nachdem er still an seinem Posten ausgeharrt hat, von der er sich lebend nicht fortbewegen kann, wenn er verletzt wird, zerfetzt, im Sterben liegt, dann durchlebt er nochmals sein Martyrium.
Er wird bei tobendem Unwetter auf eine Trage geladen, und dann geht es stundenlang auf Eselspfaden bergab, auf denen selbst die Maultiere ihren Gang verweigern. Und die Träger rutschen, stolpern, stürzen. Und der Verletzte schreit aus Leibeskräften.“


Attilio Frescura,
Diario di un imboscato,
Cappelli, Bologna, 1930



Die Schutzbauten


Neben der Versorgung mit Lebensmitteln und Munition stellte die Unterbringung der Truppen eines der Hauptprobleme an vorderster Front dar. Mit dem Aufziehen der Schlechtwettersaison – vor allem im Hochgebirge – wurde das Problem der Unterbringung zu einer dringenden Priorität.
Jeder Soldat war mit Zeltplanen ausgerüstet, die miteinander verbunden und mit Stabelementen zusammengebaut kleine Viermannzelte ergaben. Diese jedoch waren nur für einen kurzen Zeitraum und ggf. in der Ebene geeignet, nicht aber für einen Stellungskrieg.
Die Fertigbaracken Modell Raffa, bei denen es sich mehr oder weniger um Hundehütten handelte, waren knapp und mangelhaft verteilt.
Man machte sich als mit verschiedensten Materialien daran, kleine Baracken und Behausungen zu schaffen, an vorderster Front mit allem, was man finden konnte und mit den wenigen Dingen, die vom Logistikdienst bereitgestellt wurden; im Rückzugsgebiet hingegen entstanden ganze Siedlungen mit verschiedenen Serviceleistungen, Kino und Theater und in manchen Fällen herrliche bauten, die in Ermangelung ziviler Villen den hochrangigen Vorgesetzten zur Verfügung gestellt wurden. Auf jeden Fall war es dem Geschick der bäuerlichen Soldaten in jeder Hinsicht zu verdanken, dass diese Hütten etwas heimeliger wurden und wenn auch auf minimalem Raum etwas Wärme des fernen Zuhauses nachbildeten.



14.9.1916:
„Meine Baracke, eine armselige Bettlerhütte, ist nun wasser- und windbeständig, meine Soldaten haben sie geflickt: zwischen den Felsen sitzend und umgeben von anderen, schäbigeren Schutzbauten, hat sie etwas Herrschaftliches.
Ich schlafe dort ausgezeichnet, eingehüllt in die Wolldecken wie ein Mann aus dem Norden, vor lauter Müdigkeit und Kälte.“


Oberleutnant Filippo Guerrieri,
Lettere dalla trincea,
Manfrini, Trient, 1969

Die Erschöpfung


Der Krieg bestand nicht nur aus Angriffen, Bombardements, Rückzügen, Angst und siegreichen Vorstößen, sondern auch aus einer dauerhaften, allgegenwärtigen Erschöpfung.
Die tägliche Arbeit war ununterbrochen und fordernd; die Mangelernährung trug sicherlich nicht dazu bei, die zum Bau von Wegen, Schützengräben und Stellungen in furchteinflößenden Positionen erforderliche Kraft zu geben.
Der Soldat - meist ein Bauer - war an derartige Mühen allerdings gewöhnt und akzeptierte diese gefährliche Erweiterung des zivilen Lebens mit einer gewissen, gelassenen Resignation.
Die Bilder aus jener Zeit helfen uns, die harte tägliche Arbeit besser verstehen zu können: Alpini in Hemdsärmeln, während sie am Lagorai eine Stellung steil über dem Tal aufbauen, während auf der anderen Seite der Front Österreicher und russische Gefangene ein Geschoss die Straße zum Fedaia Pass hinaufziehen.






„1. Juli 1915. Kanonenzug.
Heute Morgen gegen vier war eine Infanterie-Kompanie bereits bereit für den Zug.
Die Kanonen werden angeseilt, die Männer werden in Mannschaften eingeteilt, der Aufstieg beginnt: die Infanteristen an den Seilen, die Schützen an den Rädern und am Ende.
Ich manövriere das Ende der Kiste meines Teils, des dritten Teils.
Die Straße ist katastrophal, man versinkt bis übers Knie im Schlamm.
Das Manövrieren des Endes ist wegen der Steine, die ein Drehen verhindern, enorm schwierig.
Wir schwitzen wie Hunde, die Arme schmerzen.“


Das Kriegstagebuch „Il Giornale“
von Alessandro Suckert



„Wenn ich die Corvée sehe, die von San Floriano Bretter herabträgt, und diese kleinen, heroischen Soldaten, die stürzen, wieder aufstehen, fluchen und dennoch mit zwei Brettern auf den Schultern oder einer zu zweit getragenen Rolle Stacheldraht wieder weiterziehen, verstehe ich, was Erschöpfung ist, der biblische Schweiß der Front...”


Gualtiero Castellini,
„Diario di Gualtiero Castellini“,
Mailand, 1919

Die Seilbahn


Während des Kriegs waren für einen funktionierenden Transport weitere, im Reglement nicht vorgesehene Mittel nötig: Schlitten, Lokomobile, Boote, Lokomotiven und Seilbahnen, die sich für die Gebirgszonen eigneten, aber auch häufig bei nicht besonders großen Höhenunterschieden eingesetzt wurden, wenn der Straßenbau zu schwierig schien. Selbstverständlich war es erforderlich, ein gutes Kommunikationsnetz aufzubauen, und auf italienischer Seite wurden in operativen Kriegssektoren bis 1918 ganze 3.800 Kilometer für KFZ befahrbare Straßen geschaffen.
Insgesamt bauten die Österreicher an der gesamten italienischen Front über 400 Seilbahnen mit einer Gesamtlänge von 700 km, die Italiener hingegen bauten ca. 2.100 Seilbahnen auf insgesamt 2.300 Kilometern. Der Unterschied war, dass die Italiener kleine Anlagen bevorzugten, die sich auch nach der Aufstellung leicht transportieren und verändern ließen, um sich neuen Anforderungen anzupassen. Die Österreicher hingegen bevorzugten feste, lange Seilbahnen.




Winter 1916 - Sommer 1917. In dieser schönen Serie Bilder des Costabella ist eine der typischen Seilbahnen dargestellt, die das österreichische Heer an der Dolomitenfront verwendete. Die Lufthöhen der Stützen überbrücken Leerräume von bisweilen mehreren Hundert Metern, die mithilfe herkömmlicher Corvées unüberwindbar gewesen wären. Dieser Anlage hier Verband den Costabella mit der Talstation von San Nicolò. Angesichts der Länge der Strecke war im Ortsteil Ciamorciaa eine Mittelstation vorgesehen, wo Materialien abgeladen und auf den Wagen Richtung Gipfel aufgeladen werden konnten. Diese Wägen konnten aus Holz, Metall oder ganz einfach aus Blech mit klappbaren Seitenwänden sein, damit Materialien, aber auch Verletzte schnell aufgeladen werden konnten, um ihren schmerzvollen Abtransport Richtung Tal so kurz wie möglich zu gestalten. Ebenfalls am Costabella ein anderer Wagentyp, der zur Beförderung von Bauholz für die Errichtung der Baracken und die Verstärkung der Stellungen im Hochgebirge genutzt wurde.
Manchmal wurden diesen Anlagen von den Offizieren auch als schnelle Aufstiegsmöglichkeit auf den Gipfel verwendet, aber zum einen war dies von der Betriebsordnung her verboten, zum anderen barg es hohe Risiken und auch Lebensgefahr.





„Es war stockfinster und oben am Berg tobte ein Sturm, dessen Geheul unheimlich bis zu uns herabdrang. Wir gaben die üblichen drei Schläge auf das Seil und ich setzte mich in den Wagen der Seilbahn mit dem Rücken Richtung Serauta, in dessen Richtung der Aufstieg erfolgen würde. (…)
Auf halber Höhe hätten wir auf den Wagen der Talfahrt treffen sollen, und da unserer angesichts des fürchterlichen Sturms so stark schwankte bestand die ernsthafte Gefahr eines Zusammenstoßes. Ein Kippen des Wagens hätte unseren Tod zur Folge gehabt... Auf einmal hörte ich über meinem Kopf ein ohrenbetäubendes, quietschendes Geräusch; instinktiv blickte ich nach oben und sah, dass sich das Zugseil des herabfahrenden Wagens durch den starken Wind in der Laufrolle unseres Wagens verfangen hatte. (…)
Ich hatte nicht genau verstanden, was vor sich ging, da ich kaum etwas sehen konnte.
Instinktiv hielt ich mich mit der linken Hand an der Brüstung, hob die rechte Hand und schaffte es, das in der Laufrolle verfangene Seil zu fassen und so gut ich konnte nach rechts zu schieben ... Während ich diese Bewegung ausführte musste ich darauf achten, nicht aus dem schwingenden Wagen herauszufallen, als ich hinter mir das typische, und in diesem Moment schrecklich unheimliche Geräusch des herabfahrenden Wagens hörte. Das Geräusch wurde immer lauter und war schließlich so nah, dass ich für einen Augenblick das Gefühl hatte, als müsse er mir in den Rücken krachen.“


Strecke Ciamp D’Arei-Serauta
Tullio Minghetti, I figli dei Monti Pallidi - Vita di guerra di un irredento. Ed. della Legione Trentina.
Temi, Tip. Ed. Mutilati e Invalidi, 1940

Das Alltagsleben




Das Leben ging nichtsdestotrotz weiter.
Das Leben der Soldaten bestand nicht nur aus Angriffen und verzweifelter Verteidigung, sondern die größten Probleme waren wohl die Erschöpfung, die Feuchtigkeit, der Schlafmangel, Hitze und Kälte, die Suche nach Materialien für ein etwas bequemeres Lager, der Knappheit an Nahrungsmitteln und im Allgemeinen der Mangel an den kleinen Dingen des zivilen Lebens, die den Alltag etwas angenehmer gestalten.
Außerdem brachte die lange Verweildauer in den Schützengräben häufig prekäre hygienische Zustände mit sich: Mäuse, Flöhe, Läuse, um nur einige der vielen Geißeln zu nennen, die das Leben der Soldaten erschwerten. Zur Körperhygiene wurde oft das Wasser aus den Explosionskratern verwendet. Oder man versuchte, den vielen Parasiten mit der manuellen Desinfestation der Kleidung Herr zu werden.
Und dann gab es schließlich auch die seltenen Augenblicke der Ruhe und Entspannung, in denen man sich, meist singend, der Erinnerung der fernen Lieben hingab.

Pausen



Die jüngsten Neuigkeiten! Meist des Monats zuvor... Auch die Lektüre war für die wenigen Soldaten, die lesen und schreiben konnten, ein Moment, um von den Alltagssorgen abschalten zu können. Während des Kriegs entstanden auf Initiative richtiger Verlagshäuser oder auch von den Kommandos gedruckt auf beiden Seiten eine ganze Reihe Schützengraben-Zeitungen, die eine ganze Bandbreite an Themen behandelten und häufig einer mehr oder minder offensichtlichen Propaganda dienten.


Sommer 1917, am Cardinal auf 2318 m Höhe, der Barbier am Werk im Schützengraben. Momente der Ruhe, wo ein Haarschnitt samt geblümtem Handtuch einen Hauch Normalität mitbrachte.


Sobald die Ablöse an vorderster Front eintraf, konnte man sich während der Ruhephasen auch zum einen oder anderen Gläschen Wein zusammensetzen. Stets jedoch ist der Blick von apathischer Traurigkeit beim Gedanken an die bevorstehende Rückkehr an die Front getrübt.




„Die Latrine“ am Colbricon…


Das Rauchen


Eine der wenigen Freuden, die sich die Soldaten während der Pausen gönnen konnten, war das Rauchen. Die ausgestellten Tiroler Pfeifen gehören einer großen handwerklichen und militärischen Tradition an: die Soldaten ließen ihren Namen, das zugehörige Korps und häufig sogar kurze Dichtungen oder ironische, politische oder tragische Mottos darauf schreiben.
Sie waren das Symbol für den Stolz, zum k.u.k Heer zu gehören.


Es gibt Pfeifen mit Aufschriften auf Deutsch und Italienisch, was von der Mehrsprachigkeit im Kaiserreich zeugt.
Ausgestellt sind Pfeifen von Soldaten, Kaiserjägern, seltene Pfeifen der Standschützen Bataillons und ein Exemplar des Landschützen Bataillons von Predazzo.




„ ... Ich glaube es auch. Sie halten uns lieber hungrig, durstig und verzweifelt. So keimt bei uns kein Lebenswunsch auf.
Je armseliger wir sind, desto besser für sie. Denn so ist es und einerlei, ob wir tot sind oder lebendig…“


E. Lussu,
Un anno sull’Altipiano,
Einaudi, 1945.



Wir haben bei ihm eine Karte an die Familie gefunden. Dort stand geschrieben: „Wir sind auf einem so hohen Berg, dass man bei ausgestrecktem Arm den Himmel berührt.“
Und weiter unten: „Ich sage dir, hier sind wir inmitten vieler, großer weißer Gefahren, mit dem Kreuz auf dem Rücken.“


P. Monelli,
Le Scarpe al Sole,
Treves, Mailand 1928

Der Hunger


Die gesellschaftlichen Strukturen waren Anfang des 20. Jahrhunderts großenteils noch bäuerlich-patriarchalisch geprägt.
Die Industrie entwickelte sich stetig weiter, konnte aber mit der breiten landwirtschaftlichen Erzeugung noch nicht konkurrieren: in der Regel hatten die Bauern ihr Auskommen, um sich und ihre Familien zu ernähren.
Während des Kriegs änderte sich die Situation: vor allem auf dem Land gab es plötzlich Massen an Kämpfern und Soldaten, die es zu ernähren galt.
Die logistische Organisation der Armeen war noch nicht ausgereift und vor allem nicht darauf ausgerichtet, eine so große Anzahl an Soldaten zu versorgen. Der Hunger im Schützengraben wurde für alle Beteiligten zum steten Begleiter, der mitunter schwerer zu ertragen war als die Granaten. Nach einem Angriff wurden als Erstes die Toten oder die soeben eroberten Schützengräben auf der verzweifelten Suche nach etwas Essbarem durchsucht.



Österreich-ungarischer Soldat bei einer klassischen Aufgabe, der bei Vielen die Erinnerung an den geleisteten Wehrdienst wach werden lässt: Kartoffeln schälen. In diesem Fall ein Korb kleiner Knollen, der wohl reichen musste, um den Hunger mehrerer Personen zu stillen.


Die erhaltenen Bilder, in denen es ums Essen geht, erzählen stets von großer Fülle und Überfluss, geradezu von opulenter Verschwendung: die Bedeutung ist dabei offensichtlich: man versucht, den tatsächlichen Mangel mit den Bildern zu überspielen.


Österreichische Soldaten, die in einem Gefangenenlager ihre Brotration erhalten.
Bisweilen war die Gefangenschaft die einzige Möglichkeit, nicht zu verhungern, aber vor allem in Österreich und Russland, wo Lebensmittelknappheit herrschte, konnte die Gefangenschaft auch den sicheren Tod bedeuten.



1.7.1916:
„Gierig esse ich das Wenige, das uns manchmal erreicht: wenn nichts kommt, durchwühlen wir die Rucksäcke und meist findet man noch eine Fleischkonserve, eine herrliche Notlösung für das fehlende Mittagessen, gegen den quälenden Hunger“.


Oberleutnant Filippo Guerrieri,
Lettere dalla trincea,
Manfrini, Trient, 1969

Die Natur


Die Natur war allgegenwärtig, und der Mensch war ihren Kräften trotz seiner scheinbaren Standhaftigkeit vollkommen ausgesetzt: Lawinen, Blitze, Schneestürme, Erdrutsche, Hochwasser, um nur eine Auswahl der Waffen zu nennen, die diese unvergleichliche Macht zur Verfügung hatte.
Andererseits bot sie den vom Krieg gezeichneten erschöpften Männern aber auch Halt: spektakuläre Ausblicke, Gezwitscher, Sonnenuntergänge, die unendliche Weite der Gewässer ... Und schließlich bot die Erde dem zerbrechlichen Körper des Soldaten Schutz, Verteidigung im Schützengraben, und häufig auch die letzte Ruhestätte. Unzählige Lawinen an der Dolomitenfront forderten Hunderte Todesopfer. Zu den schrecklichsten zählte die Lawine am 13. Dezember 1916 im Marmolata Massiv am “Gran Poz”, wo 200.000 Tonnen Schnee 230 Kaiserschützen und 102 bosnische Träger unter sich begruben. Nur 51 konnten geborgen werden. Die letzten tauchten im Juli 1917 im Tal auf.




Die Natur kann auch unglaublich unerbittlich sein: in wenigen Sekunden können durch die zerstörerische Wucht von Lawinen ganze Dörfer hinweggefegt werden, wie z.B. im Talkessel von Fuchiade oberhalb des San Pellegrino Passes, wo am 9. März 1916 60 Alpini des Bataillons Val Cordevole den Tod fanden.


Ein österreichischer Wachposten beobachtet am Costabella in einer fast märchenhaften Atmosphäre die italienischen Stellungen an der Pale di San Martino Gruppe.




9. Mai 1917:
„Bei der Rückkehr erreichte uns die Nachricht, dass ein junger Infanterie-Major, den ich wenige Tage zuvor mit den Skijägern gesehen hatte, von einer Viper gebissen worden ist. Auf der Trage wurde er hierher zur unserer Gruppe transportiert, wo Cosentino seinen ersten Zustand feststellte, er war bereits ohnmächtig. Eilig hat man ihn hinab ins Krankenhaus geschickt. Er wird sterben.”

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23. März 1917:
„Wie hart der Anstieg auf dem Eis ist, und wie sanft diese beiden weißen Wände sind! Wir haben einen Wald mit hohen Fichten durchquert: solche, wie ich bereits in Feenbüchern und in den Schaufenstern der Zuckerbäcker gesehen hatte.
Der Schnee scheint wirklich wie Sahne, mit seinen enormen, ausgedehnten, unberührten Massen; und auf den Spitzen wirkt er wie Zucker, wie Mehl, wie Watte; er sieht einfach einladend und entzückend aus; er vermittelt die unbefriedigte Verzweiflung der unendlich reinen Dingen, die man genießen, besitzen möchte, was aber unmöglich ist.“


Region Monte Mezza (Valsugana),
Silvio d’Amico, La vigilia di Caporetto-Diario di guerra,
Giunti 1996

Die Religion



Das Leben an der Front zwang die Männer, laufend mit dem Tode konfrontiert zu sein. Plötzlich, jederzeit, kann eine Kugel, ein Splitter, eine Granatenexplosion dem Leben ein Ende bereiten. Es war also ganz natürlich, dass der Mensch an etwas festhielt, als überzeugter Gläubiger, aber auch als Opfer der Angst vor einer realen Gefahr.
Andere fielen angesichts des täglichen Grauens vom Glauben ab.
Im Jahre 1866 wurden die militärischen Kaplane angesichts der wachsenden Spannungen zwischen Staat und Kirche abgeschafft. Mit einem Rundschreiben vom 12. April 1915 führte General Cadorna die Seelsorge mit der Zuweisung eines Kaplans pro Regiment wieder ein.
Mehr als 2.200 wurden mit dem Dienstgrad des Offiziers militarisiert, hinzu kamen einfache Priester und Kleriker, die zu den normalen Einsatztruppen einberufen worden waren. Insgesamt gab es an der Front also rund 20.000 Vertreter der Religion.


Die Feldmesse auf Italienisch, ein Moment der Einkehr und des Muts angesichts einer ungewissen, aber sicherlich Unheil bringenden Zukunft.


Das österreichische Canazei: andere Uniformen, aber die Bedeutung der spirituellen Einkehr bleibt unverändert. Die Ladinische Flagge und die Fahne der Fassaner Veteranen ehren die Zeremonie.



Aber die Kirche war im weitesten Sinne des Begriffs stets bereit, den vom Krieg gezeichneten Männern Stärkung zu geben.
Auf diesem Bild ruht sich eine Gruppe ausgezehrter k.u.k. Soldaten auf dem Stroh aus, das in einer beliebigen Kirche an der Kriegsfront im Kirchenschiff aufgeschüttet war.



15.7.1917:
„Priester und Altar standen auf dem Gipfel und waren aus der Ferne am Horizont deutlich zu erkennen.
Offiziere und Truppen schwiegen bewegt,
Ich beobachtete und kehrte in mich, und nach und nach fühlte ich, wie mich im Laufe der Heiligen Messe eine Ergriffenheit erfasste, die unbemerkt immer stärker wurde und mich derart erfüllte, dass ich die Tränen nicht zurückhalten konnte“.


Niccolò Bresciani, geboren in Lucera (Tn), gestorben am Monte Zomo am 17. November 1917.
In: Adolfo Omodeo, Momenti della vita di guerra,
Einaudi, 1968

Die Ladiner im Ersten Weltkrieg


Beim Ausbruch des Kriegs im Jahre 1914 kann man das Verhalten der ladinischen Bevölkerung beim Kriegseintritt von Österreich-Ungarn als resignierte Akzeptanz bezeichnen;
Für einen guten Südtiroler Untergebenen war der Gehorsam gegenüber dem Herrscher eine zivile Pflicht oder Notwendigkeit. Das ferne Russland wurde sicher nicht als Feind empfunden.
Die Einberufenen reisten scharenweise ab, viele von ihnen verdienten sich Abzeichen in der Schlacht, andere gerieten in Gefangenschaft, nur wenige kehrten lebend zurück.
Mit der Kriegserklärung Italiens an Österreich am 24. Mai 1915 befanden sich die italienischen Truppen vor ihrer Tür, die Front verlief nur wenige Kilometer von ihren Häusern entfernt. Einige Dörfer werden von der Artillerie bedroht und evakuiert.
Viele Zivilisten kehrten jedoch bereits nach einem Monat zurück.
Es entsteht eine ganz besondere Situation: die Männer aus den Dolomitentälern kämpfen wirklich zur Verteidigung ihrer Häuser, ihrer Familien, mit größter Opferbereitschaft vor allem in den ersten Kriegsjahren.



Die imperialistische Zivil- und Militärpolitik sorgte jedoch dafür, dass sich der Patriotismus der Ladiner und Trentiner nach und nach in eine unterdrückte Apathie verwandelte.
Die des Irredentismus verdächtigten Zivilisten wurden häufig ohne tatsächliche Gründe verhaftet und in Internierungsanstalten geschickt.
Die italienisch- und ladinischsprachigen Soldaten wurden von den Offizieren mit Argwohn betrachtet und häufig schlecht behandelt; der Krieg und das von Franz Josef geführte Regime der Intoleranz untergraben die Moral der Bevölkerung und der Truppen, auf deren Treue er immer hatte zählen können.
Der Hunger und die Entbehrungen der letzten Kriegsjahre kommen zu diesem Schmerz noch hinzu.
Dennoch wurden die Tiroler Grenzen bis zum Tag der Kapitulation im November 1918 verteidigt und erhalten. Der Einzug des Friedens wurde, wenn auch unter der neuen Flagge Italiens, als notwendiger Schritt in Richtung Frieden begrüßt.

Die Zivilbevölkerung und der Krieg


Moena. Der neue Kaiser Karl I. von Habsburg unterhält sich mit der zivilen Bevölkerung.
Man kann anhand der Schlichtheit dieses Bilds erkennen, wie tief das Prestige und die Faszination der Kaiserfamilie in der Tiroler Bevölkerung verwurzelt waren. Trotz des Kriegs, der Misshandlungen und der nationalistischen Schikanierung der Ladiner durch die deutschsprachigen Offiziere, die den historischen Patriotismus der Tiroler untergraben hatten, wurde der Nachfolger von Franz Josef warm und ehrlich empfangen.
Auf dem Foto sieht man auch den mit zwei Verdienstkreuzen für seinen Einsatz auf dem Schlachtfeld von Cistoza im Jahre 1866 ausgezeichneten Postmeister Michele Croce.




Die militärische Wäscherei von Moena wird durch die vergütete Arbeit der Frauen aus dem Dorf in Betrieb genommen.
Hierher wurde die Wechselkleidung der Soldaten gebracht. Dazu wurden die Frauen mit Schneider- und Handwerksarbeiten aller Art beauftragt. Auf diese Weise verdiente die lokale weibliche Bevölkerung einen Lohn. Dieses von Leutnant Richard Löwy sehr wohl organisierte Arbeitssystem, das die Abwesenheit der Männer ab 16 bis zum mittleren Alter auffangen musste, ermöglichte im Vergleich zu der sehr armen Zivilbevölkerung des Kaiserreichs die Wahrung eines besseren Lebensstandards.



Gries – Canazei. Im Hinterland der Front kamen die österreichischen Soldaten hinab ins Tal, um ihre Familien zu besuchen und sich zu erholen.
Während dieser Pausen kam es oft vor, dass die in Häusern und Heuschuppen untergebrachten Soldaten der lokalen Bevölkerung bei landwirtschaftlichen Arbeiten halfen. Die Ladinischen Frauen tragen traditionelle Gewänder. Eine stellt Butter her, die andere spinnt.
Ein Aspekt erstaunt den Betrachter aber besonders: der österreichische Soldat im Hintergrund legt seine Hand brüderlich, wie bei einem Familienmitglied auf die Schulter des russischen Gefangenen, der auf dem Fass sitzt.


Moena, Brücke über dem Avisio. Eine dicht gedrängte Gruppe russischer Gefangener arbeitet unter der Aufsicht österreichischer Soldaten.
Bemerkenswert ist die Anwesenheit eines deutschen Offiziers des Alpenkorps, linkerhand stehend. Die Deutschen, die den Tiroler in den ersten Monaten des Jahres 1915 zu Hilfe gekommen waren, waren den Standschützen bis zur Ankunft der Rückkehrer von der Galicien-Front nach der plötzlichen Kriegserklärung des Königreichs Italien vom 24. Mai 1915 eine große Unterstützung.




3. September 1915:
„Mein Gott, Mein Gott, was haben wir getan,
um eine derartige Strafe zu verdienen? …
Meine Mutter, meine Mutter, eine Heilige…
Dein Wille geschehe, o Herr
jetzt und für immer; wir benedeien die
allmächtige Hand, die uns trifft…
Armer Battistino, hättest du jemals gedacht,
fern von deiner Familie sterben zu müssen,
fern von deinem geliebten Moena, in diesem
grauenvollen, katastrophalen Krieg,
im Kampf für das Vaterland…
Dieser Krieg, der so viel Blut vergießt,
so viele Tränen, der die Menschen
zu wilden Tieren macht… ja, zu wilden Tieren, denn
Tage, Monate und auch Jahre vergehen, ohne
dass ein Ende absehbar ist;
manch einer verliert sogar den
Glauben an den Herrn…”


Aus dem Tagebuch von Caterina Pezzé Batesta aus Moena.
Diesen Text schrieb sie im Alter von 15 Jahren, als sie vom Tod des Bruders in der Schlacht erfuhr.


9. November 1918:
„Wir sind jetzt Italiener!!!”


Caterina Pezzé Batesta,
Das kleine Tagebuch von Caterina 1912-1918 vom Frieden zum Ersten Weltkrieg
Ghedina & Tassotti ed., 1995